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360 Grad Feedback – Ein anspruchsvolles Instrument mit viel Potenzial

Was ist 360 Grad Feedback?

360 Grad Feedback

Hintergrund

360 Grad Feedback ist ein Instrument der Personalentwicklung. Verschiedene Personen geben dem Feedback-Empfänger Rückmeldungen dazu, wie er auf sie wirkt und was sie von ihm denken. Der Ansatz stammt aus dem deutschen Militär. In den 1930er Jahren erkannten Psychologen, dass sich die spätere Führungsleistung von Offiziersanwärtern gut auf Basis von Beobachtungen aktueller Untergebener, Kammeraden und Vorgesetzten vorhersagen lässt. Bis dahin setzte der Auswahlprozess vor allem auf Testverfahren zur kognitiven Leistungsfähigkeit, der Persönlichkeit sowie Beurteilungen von Vorgesetzten.

Das 360 Grad Feedback zollt im Kern dem Umstand Rechnung, dass der Erfolg von Führungskräften zu wesentlichen Teilen davon abhängt, wie sie von ihrem Umfeld wahrgenommen werden.

360 Grad Feedback in Unternehmen

Seit den 1980er Jahren nutzen auch viele Unternehmen 360 Grad Feedback Prozesse, um Führungskräfte auszuwählen und bei ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Im Organisationskontext meint 360 Grad, dass Untergebene, Kollegen, Führungskräfte, manchmal auch Kunden oder Lieferanten, zu dem Feedbackempfänger Rückmeldungen geben. Zu dem Prozess gehört auch, dass der Feedbackempfänger eine Selbsteinschätzung abgeben muss.

Welche Fragen im 360 Grad Feedback?

360 Grad Feedback Prozesse leben auch davon, dass es sich um einen strukturierten Prozess handelt. Das heißt alle Feedbackgeber einer Kategorie beantworten die gleichen Fragen. Dadurch wird sichergestellt, dass sich die Beteiligten zu relevanten Aspekten äußern. In vielen Fällen sieht der 360 Grad Feedbackbogen die Bewertung einzelner Aspekte auf einer Likert-Skala vor. Selten erfordert der Prozess Freitext-Antworten. Das liegt vor allem an dem potenziell höheren Auswertungsaufwand. Dies wird sich im Zuge der Verbreitung künstlicher Intelligenz verändern.

Welche Fragen in einem 360 Grad Feedback Prozess enthalten sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Idealerweise stellen Experten einen Fragebogen zusammen, der zu den Herausforderungen der aktuellen und der zukünftigen Rolle, dem Unternehmen und auch den Feedbackgebern passt. Theoretisch gibt es validierte 360 Grad Feedbackfragebögen. Praktisch ist eine Validierung aber fast unmöglich. In dem oben genannten Militärkontext kann eine Validierung noch gelingen. Im Organisationskontext sind die jeweiligen Herausforderungen, Erfolgsfaktoren und Erfolgskriterien aber derart heterogen, dass eine Kriteriumsvalidität meist nicht gegeben ist. Bestenfalls liegen Inhalts- oder Konstruktvalidität vor.

Der Zweck des 360 Feedbackprozesses ist entscheidend

Bei der Zusammenstellung des Fragebogens gilt es auch zu berücksichtigen, welchem Zweck der 360 Grad Feedbackprozess dienen soll. Im Wesentlichen unterstützen 360 Grad Feedbackprozesse entweder Auswahlprozessen oder Entwicklungsprozessen. Gelegentlich versuchen Organisationen auch 360 Grad Feedbackprozesse für beide Zwecke parallel zu nutzen. Das gelingt jedoch nur selten gut.

Expertenwissen ist notwendig

360 Grad Feedback Prozesse sind sehr aufwendig. Viele Personen wirken mit und für den Feedbackempfänger kann es ein sehr emotional anstrengender Prozesse sein, der durch einen Coach oder Berater begleitet werden sollte. Vor dem Hintergrund macht es auch Sinn, in die Entwicklung des Fragebogens zu investieren. Es ist nicht empfehlenswert, einen allgemeinen Fragebogen zu verwenden.

Die Erstellung oder Anpassung des Fragebogens sollte durch Fachpersonal erfolgen, dass langjährige Erfahrung in der Entwicklung psychometrischer Instrumente und ein ausreichend gutes Verständnis des konkreten Businesskontextes hat.

Wie 360 Grad Feedback einführen?

Viele Anbieter stellen in ihren HR Systemen auch die Infrastruktur für 360 Grad Feedbackprozesse zur Verfügung. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl von Toolanbietern. Das ermöglicht es theoretisch, den Feedbackprozess kostengünstig zu skalieren und mit vielen Führungskräften regelmäßig ein 360 Grad Feedback durchzuführen.

Zu beachten ist dabei, dass der eigentliche Aufwand in der Entwicklung des Fragebogens, der Beantwortung der Fragen sowie der emotionalen Aufarbeitung der Ergebnisse liegt. Wenn es einen Standardfragebogen für alle Führungskräfte, die regelmäßige Versendung von Fragebögen und keine emotionale Aufarbeitung gibt, verschwinden die etwaigen positiven Effekte des 360 Grad Feedbacks.

Studien zeigen, dass vor allem die Begleitung in der emotionalen Aufbereitung für Führungskräfte entscheidend ist, um aus dem Feedback zu lernen. Zudem ist es unerlässlich, dass die abgefragten Aspekte auch tatsächlich relevant für die einzelne Führungskraft sind und sich die Befragten die Mühe machen, hilfreiche Antworten zu geben.

Die wichtigsten Schritte

  • Legen Sie das Ziel fest. Geht es um Entwicklung, Auswahl oder Leistungsbeurteilung?
  • Bestimmen Sie die Feedbackempfänger. Wer soll Feedback erhalten?
  • Gruppieren Sie ggfs. Feedbackempfänger, die den gleichen Prozess durchlaufen sollen
  • Wählen Sie die Feedbackgebergruppen aus. Z.B. auch Kunden, Lieferanten?
  • Lassen Sie den Fragebogen von Experten entwickeln
  • Definieren Sie den Prozess und die Ressourcen, die den Feedbackempfänger bei der Verarbeitung des Feedbacks unterstützen sollen (Trainings, Coaching, Beratung etc.)
  • Wählen Sie ein Tool für die Administration aus
  • Erläutern Sie allen Beteiligten den Prozess. Was ist der Hintergrund? Was ist wichtig? Wie ist der Ablauf? Welche Daten werden wie verwendet?
  • Führen Sie die individuellen 360 Grad Feedbackprozesse durch

Evaluieren Sie den Prozess

Ein 360 Grad Feedbackprozess ist ein sehr aufwendiges Instrument, das Führungskräften den entscheidenden Anstoß zu wichtigen Entwicklungen geben kann. Dabei ist es sehr anspruchsvoll, einen wirksamen Prozess zu gestalten.

Wenn Sie einen 360 Grad Feedbackprozess implementiert haben, sollten sie ihn anschließend evaluieren. Holen Sie Feedback von den Führungskräften und begleitenden Coaches ein. Auch relevant: Wie ist es den Feedbackgebern in dem Prozess ergangen?

Nach einiger Zeit können Sie versuchen, zusätzliche Daten zu gewinnen. Wie verändern sie die Ergebnisse in Mitarbeiterbefragungen? Verändert sich die Performanz einzelner Teams?

Beachten Sie dabei, dass es viele Einflussgrößen gibt, die auf die Performanz von Teams und die Mitarbeiterzufriedenheit wirken. Das Verhalten von Führungskräften ist nur eine Einflussgröße. Das macht die Validierung von 360-Grad Feedbackprozessen so schwierig.

360 Grad Feedback ist nicht objektiv

Häufig wird behauptet, 360 Grad Feedback sei objektiv. Das stimmt jedoch nicht. Nur weil mehrere subjektive Perspektiven zusammenkommen, werden sie nicht in Summe objektiv. Es sind immer noch subjektive Wahrnehmungen. Das ist wichtig zu verstehen. Denn eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Führungsarbeit ist auch, individuelle Unterschiede zu erkennen und zu respektieren. Es stellt kein Problem dar, dass das Feedback nicht objektiv ist. Den Anspruch muss es gar nicht haben. Ziel des 360 Grad Feedbackprozesses ist, die subjektiven Erfahrungen verschiedener Beteiligten zu nutzen.

Wie viele Studien zeigen, geht es bei der Qualität von Führung auch nicht um objektives Verhalten, sondern um die Wirkung auf die Geführten und andere Beteiligten.

Tatsächlich ist Führungsverhalten nur schwer objektiv messbar. Dazu müssten Führungskräfte von Kameras oder direkt von Experten begleitet werden, die nach objektiven Kriterien das Führungsverhalten beurteilen. Beteiligten, erst recht wenn sie keine professionelle Ausbildung als Beobachter haben und selbst betroffen sind, fällt es sehr schwer.

Subjektive Wahrnehmung ist entscheidend

360 Grad Feedback Prozesse geben also nicht Aufschluss über das tatsächliche Verhalten, sondern nur darüber, wie es von der Befragten wahrgenommen wird. Aber das ist auch das entscheidenden. Denn basierend auf dieser Wahrnehmung passen die Befragten auch ihr eigenes Verhalten in der Zusammenarbeit mit der Führungskraft an. Und es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass andere Menschen, das Verhalten der Führungskraft in Zukunft ähnlich wahrnehmen würden.

Für die einen mag das Haarspalterei sein, für andere ist diese Differenzierung wichtig, um Vertrauen in die Seriosität eines 360-Grad Feedbackprozesses aufzubauen.

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